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Fakultätentag Psychologie: Stellungnahme zur Zukunftsstrategie Forschung und Innovation der Bundesregierung

Forschung Stellungnahme

Der Fakultätentag Psychologie hat im Rahmen eines Online-Konsultationsverfahrens des BMBFs Vorschläge zur "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation" der Bundesregierung beigesteuert. Mit Unterstützung von Experten und Expertinnen aus verschiedenen DGPs-Fachgruppen wurden Vorschläge weitergegeben, die die zentrale Rolle psychologischer Forschung für die angefragten Bereiche mit gesellschaftlicher Relevanz herausstellen.

Mitwirkende

Prof. Dr. Conny Antoni, Prof. Dr. Martin Baumann, Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Prof. Dr. Juliane Degner, Prof. Dr. Thomas Franke, Prof. Dr. Markus Huff, Prof. Dr. Thomas Kubiak ,Prof. Dr. Annette Kluge, Prof. Dr. Tania Lincoln,  Prof. Dr. Ellen Matthies, Prof. Dr. Sylvia Schneider, Prof. Dr. Charlie Renner, Prof. Dr. Gerhard Reese, Prof. Dr. Kai Sassenberg, Prof. Dr. Stefan Schulz-Hardt, Prof. Dr. Mark Vollrath

Stellungnahme zu den gestellten Fragen

1. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Grundlagenforschung und Forschungsinfrastrukturen“ setzen?

Nach den UNESCO Empfehlungen Open Science soll Forschung der Gesellschaft dienen, damit transparent und replizierbar sein. Forschungsdaten - alle Daten eines Forschungsprojekts - spielen dabei eine zentrale Rolle. Aktuellen Empfehlungen nach, sollen diese in zertifizierten Forschungsdatenzentren kuratiert, gespeichert, ggfs. gestuft zugänglich gemacht werden und neue Publikationsformen ermöglichen (z.B. Datenpublikationen). Bisheriges Projektmanagement und Ausstattung berücksichtigt diese neuen Anforderungen nicht. Die Bundesregierung sollte daher Forschung initiieren, die den gesamten Prozess der Datenerhebung auf individueller und systemischer Ebene miteinbezieht. Dabei erscheint ein Abgleich von Erwartungen der Forschenden und Angeboten der Forschungsinfrastrukturen zentral. Forschungsprogramme sollten den Aufbau von data literacy bzw. research infrastructure literacy auf Ebene der Forschenden und von research literacy auf Ebene der Forschungsinfrastrukturen miteinbeziehen.

2. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Transfer von Forschungsergebnissen in die Anwendung“ setzen?

Strategische:

  • Förderung von Transferunterstützung (z.B. Transferstellen) und -Evaluation
  • Forschungsanträge sollten grundsätzlich das Potential für Transfer reflektieren – ohne dass Transferierbarkeit eine Bedingung für jede Forschungsförderung sein darf
  • Das Einbinden von gesellschaftlichen Akteuren wie KMUs und NGOs in Forschung und Transfer sollte erleichtert werden, da diese die Erkenntnisse in ihr Handeln einfließen lassen.

Inhaltliche:

  • Viele Themen der Forschungsstrategie (z.B. KI, Klimawandel, Extremismus, (psychische) Gesundheit) erfordern Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Daher sollte evidenzbasierte psychologische Forschung zu diesen Themen intensiver gefördert werden.
  • Wie der Erfolg von Veränderungen gemessen und evaluiert werden kann, sollte von Anfang an mitgedacht werden.
  • Technische Innovationen führen zu Veränderungen im Alltag von Menschen, wofür deren Veränderungsbereitschaft notwendig ist, was durch Change-Management Projekte gefördert werden sollte.

3. Gibt es Aspekte, die für die europäische und internationale Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Innovation aus Ihrer Sicht besonders hilfreich wären?

Forschung ist dann erfolgreich, wenn die Besten zusammenarbeiten – egal aus welchem Land. Um dieser Tatsache gerecht zu werden und Spitzenforschung unter deutscher Führung durchführen zu können, braucht es Förderinstrumente, die eine internationale Zusammenarbeit erlauben. Projektförderung, die sich an nationalen Grenzen orientiert, ist kontraproduktiv. Dementsprechend sollten Forschungsförderinstrumente geschaffen werden, die internationale Forschungskooperationen erlauben, die dem Forschungsgegenstand gerecht werden. Europäische Forschungsförderung erlaubt dies häufig nicht, weil die Projekte zu groß oder zu divers sein müssen, um förderfähig zu sein, und weil Partner*innen in nicht EU Ländern nicht partizipieren können.

4. Gibt es Aspekte, die für eine breite Beteiligung im Bereich Forschung und Innovation aus Ihrer Sicht besonders hilfreich wären?

Die zwei zentralen Hürden für breite Beteiligung am Bereich Forschung und Innovation sind (a) das Scheitern von Minoritäten (z.B. aus bildungsfernen Elternhäusern und mit Migrationshintergrund) im Bildungsverlauf und (b) die fehlende soziale und finanzielle Sicherheit von in der Forschung Tätigen treibt viele dazu, aus der Wissenschaft auszusteigen. Für Minoritäten ist dies besonders problematisch, da oft der finanzielle Rückhalt aus der Familie fehlt und Sicherheit somit noch bedeutungsvoller ist. Daher ist die spezielle Förderung von Minoritäten im Bildungssystem (nicht zuletzt am Übergang zur Hochschule) erforderlich. Eine breite Beteiligung an Forschung und Innovation erfordert höhere Arbeitsplatzsicherheit (d.h. ausreichende Dauer von Promotionsstellen, Tenure Track möglichst bald nach der Promotion). Dies würde auch helfen, mehr Frauen in der Forschung zu halten.

5. Gibt es Aspekte, die für Qualifikation von Fachkräften im Bereich Forschung und Innovation aus Ihrer Sicht besonders hilfreich wären?

Für die Qualifikation von Fachkräften im Bereich Forschung und Innovation wären hilfreich:

  • Niederschwellige Auslandsaufenthalte zur Qualifikation in anderen Labs, die auch familienfreundlich ausgestaltet werden können (d.h. das Mitnehmen der Familie unterstützen) hilfreich.
  • Niederschwellige Angebote für internationale Gäste. Das administrative Personal in Deutschland ist oft nicht ausreichend auf diese vorbereitet (Sprachkompetenz, Kenntnis anderer wissenschaftlicher Kulturen).
  • Innovationen entstehen durch Interdisziplinarität. Eine Förderung von interdisziplinären Plattformen wie Kollegs (oder Winter- und Sommerschulen) zu einem Thema mit hoher gesellschaftlicher Relevanz, z.B. Zukunft der Arbeit/Privatheit/Autonomie im Kontext von KI und Robotik oder Anpassung an und Bekämpfung der globalen Erhitzung.

6. Gibt es Aspekte, für die ein besser abgestimmtes ressortübergreifendes Vorgehen aus Ihrer Sicht besonders hilfreich wären?

Evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen und entsprechende Forschung zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und der Resilienz i.S.d. OneHealth Ansatzes erfordern ein abgestimmtes ressortübergreifendes Zusammenwirken von BMBF, BMG, BMAS, BMFSFJ und BMWK sowie des BMJ für entsprechende Gesetzesänderungen.

7. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Ressourceneffziente und wettbewerbsfähige Industrie und nachhaltige Mobilität ermöglichen“ setzen?

Das Nutzerverhalten beeinflusst wesentlich die Ressourceneffizienz von Mensch-Technik-Systemen. Daher müssen die Bedürfnisse und Ressourcen der Nutzergruppen bei der sozio-technischen Systemgestaltung (im kompletten Innovationsprozess von Entwicklung, Planung, Umsetzung und Evaluation) systematisch anhand empirischer Forschungsdaten und mittels Beteiligungsprozessen berücksichtigt werden. Z.B. bei der

  • ressourceneffizienten Gestaltung geteilter Mobilität, von On-demand Verkehr im ÖV/CarSharing (Wahrnehmung und Nutzung von SharedMobility)
  • nutzerfreundlichen Gestaltung von Assistenzsystemen für die Energieeffizienz-Optimierung in allen Bereichen
  • Integration von Mobilität und erneuerbaren Energien (V2G etc.), Mobilitätsverhalten und Stromnetzdienlichkeit
  • Interaktion von Menschen mit KI-Optimierungsalgorithmen für Ressourceneffizienz (Erklärbarkeit, Systemtransparenz, Vertrauen, Nutzungsverhalten)
  • Energieeffizienz-Optimierung & Netzkompatibilität in der Industrie

8. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Klimaschutz und Bewahrung der Biodiversität voranbringen“ setzen?

Individuen sind als Bürger*innen und als Konsument*innen von den Transformationsprozessen im Klima- und Biodiversitätsschutz gefordert, z.B. bei Investitionsentscheidungen in neue Technologien (Heizen, Sanieren), bei der Veränderung von Dienstleistungsangeboten bis hin zur Etablierung neuer Alltagsroutinen (Sharing, Recycling, Repairing). Wichtig ist daher die Erforschung der

  • Kontextbedingungen (Infrastruktur, Anreizsysteme, Politiken, Beteiligungsformate, Bildungsangebote, Umweltgestaltung), die Menschen motivieren, sich in diese Transformationsprozesse einzubringen,
  • Determinanten gesellschaftlicher Akzeptanz politischer Maßnahmen zum Klima- und Biodiversitäts-Schutz
  • Interaktionen zwischen individuellen, gruppenbasierten und systemischen Prozessen.
  • der emotionalen (verhaltensfördernden) Reaktionen, die mit dem Verlust biologischer Vielfalt und der Klimakrise einhergehen. Über solche Reaktionen sollte nicht nur zu spekuliert, sondern sie sollten gemessen werden.

9. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „(psychische) Gesundheit für alle verbessern“ setzen?

Sämtliche aktuelle Krisen (Klimawandel, Flucht, COVID-19) beeinflussen die (psychische) Gesundheit. Gefährdungen und psychische Vulnerabilitäten müssen schneller erkannt werden, um durch gezielte Präventionsmaßnahmen die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern und die Resilienz zu steigern. Alle Maßnahmen sollten i.S.d. One Health Ansatzes die Gesundheit der Menschen, der Tiere und der Umwelt berücksichtigen. Hierzu sollte die Bundesregierung

  • Die interdisziplinäre Forschung zwischen der Arbeits-, Gesundheits- und klinischer Psychologie und Psychotherapie, Medizin und Umweltwissenschaften fördern.
  • Initiativen fördern, die die Wissenschafts-Praxis-Lücke im allen genannten Bereichen schließen.
  • Psychotherapieforschung für Patientengruppen fördern, für die es noch keine hochwirksamen Therapien gibt (z.B. komplexe psychische Störungen).
  • Präventionsmaßnahmen in den verschieden Lebenswelten und insbes. die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen fördern.

10. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Technologische Souveränität Deutschlands und Europas sichern und Potenziale der Digitalisierung nutzen“ setzen?

Im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der UN insbesondere Goal #8 Decent work and economic growth sollten Schwerpunkte die menschengerechte sozio-technische Systemgestaltung adressieren - z.B. in Form einer dynamischen Aufgabenallokation von Mensch und technischem Systeme (das kann KI oder Robotik o.ä.) sein. Forschung sollte wo möglich zu human zentrierten augmentierenden KI-Lösung beitragen, aber auch prüfen, welche Arbeitsplätze mit hohem gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen durch KI ersetzt werden sollten (und auf Basis des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels auch ersetzt werden müssen). Zur Unterstützung der Menschen in der Produktion und Dienstleistung brauchen wir z.B. empirisch geprüfte situationsadaptive Erklärbarkeit-Strategien von KI Systemen.

11. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Weltraum und Meere erforschen und nachhaltig nutzen“ setzen?

Gerade vor dem Hintergrund des immer stärker werdenden Eintrags von Plastik in die Umwelt und vor allem in die Meere (siehe z.B. den Eintrag der “Novel Entities” als Planetare Grenze; Persson et al., 2022) sollten stärker Forschungsvorhaben in den Vordergrund rücken, die sich mit der Vermeidung aller relevanten Arten von Plastikmüll beschäftigen. Ein zweiter relevanter Aspekt liegt in der Nutzung sogenannter Earth Observation Data, die stärker als bisher genutzt werden sollten, um über Klima- und Biodiv-Veränderungen zu informieren und als Methode zur Motivation nachhaltigen Handelns weitergedacht werden sollte (siehe z.B. Wullenkord et al., 2021).

Bei der Erforschung und Nutzung sind Menschen im Weltraum und auf dem Meer oft extremen Bedingungen ausgesetzt, so dass auch interdisziplinäre Forschung zu den psychischen und physischen Auswirkungen der Arbeits- und Kooperationsbedingungen und deren menschengerechten Gestaltung gefördert werden sollte.

12. Welche Schwerpunkte sollte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich „Gesellschaftliche Resilienz, Vielfalt und Zusammenhalt stärken“ setzen?

Von hoher Relevanz sind das Verständnis von Entstehungsbedingungen sozialer Einstellungen (z.B. Einstellungen zur Demokratie, gegenüber sozialen Gruppen, politischen Maßnahmen), deren Beeinflussbarkeit und deren Bezug zu tatsächlichem Verhalten (z.B. Diskriminierung, Wahl- / Protestverhalten, Bereitschaft zur Befolgung politischer Maßnahmen, Impfbereitschaft). In einer Gesellschaft, deren Zusammensetzung sich durch Flucht und Migration verändert, benötigen wir zudem empirische, ergebnisoffene Forschung zu den positiven / negativen Konsequenzen von Diversität, um positive Konsequenzen zu fördern und negativen entgegenzuwirken. Zusätzlich sollte Präventions- und Interventionsforschung verstärkt werden, die evidenzbasierte praxisnahe Programme zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Prävention von Rassismus, Extremismus und Gewalt entwickelt, implementiert und evaluiert.Psychologische Grundlagen- und damit verzahnte Anwendungsforschung kann hierzu wichtige Beiträge leisten.

13. Gibt es Aspekte, die für Kommunikation und Austausch im Bereich Forschung und Innovation aus Ihrer Sicht besonders hilfreich wären?

Austausch innerhalb der Wissenschaft: Förderung von Tagungen in hybriden Formaten als Plattform für die Kommunikation mit internationalen Communities. Für diese technisch aufwendigen, aber klimafreundlichen Formate fehlen Förderinstrumente. Konsequentere Förderung und Forderung von Open Access Publikationen als Standard (anstatt, wie bisher, als Ausnahme). Hier wären deutschlandweit gültige Verträge mit internationalen Verlagen wünschenswert.

Austausch mit der Gesellschaft: Hier sind eine Reihe von Kommunikationsinstrumenten denkbar:

  • Förderung von Journalists in Residence als Promotoren des Transfers,
  • von Wissenschaftskommunikation als Kriterium für Berufungen, Preise, Leistungszulagen und mehr,
  • von Citizen Science,
  • der Erstellung von systematischen Reviews für Anwender (Professionals) sowie
  • von Public Summaries zu jedem Antrag und jeder Publikation.