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Stellungnahme zur Novellierung des WissZeitVG

Qualitätssicherung Studium Stellungnahme

DGPs und FTPs nehmen Stellung zu dem am 27.03.2024 von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzesentwurf zur Novellierung des WissZeitVG und des ÄArbVrtG

Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und der Fakultätentag Psychologie (FTPs) begrüßen, dass die Bundesregierung mit dem am 27.03.2024 beschlossenen Gesetzesentwurf zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) und des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVrtG) einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Planbarkeit der Karrierewege für den wissenschaftlichen Nachwuchs anstrebt. Die Regelungen zur Änderung des ÄArbVtrG, verbessern die Vereinbarkeit einer Weiterbildung von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen mit einer wissenschaftlichen Qualifizierung deutlich.

Das Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Planbarkeit der Karrierewege kann mit dem vorgelegten Entwurf des WissZeitVG aber nur unter einer Bedingung erreicht werden, die somit zentral für den Erfolg der Gesetzesnovelle ist: Ohne die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel für die Einrichtung von mehr unbefristeten Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs wird jegliche Verkürzung der Befristungshöchstgrenzen für Postdocs die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftsstandorts weiter verschlechtern statt verbessern. Dies würde den Sinn der Gesetzesreform konterkarieren. Es würde zudem auch den Vereinbarungen der Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag in Hinblick auf die Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses widersprechen. Ebenso stünde es auch im Widerspruch zu dem Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses des Bundestages zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur (Drucksache 20/8663 vom 26.01.2024).

Folgende positive Beiträge des vorgelegten Gesetzesentwurfes zur Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses begrüßen wir ausdrücklich:

Artikel 1 Änderung des WissZeitVG

  • Festlegung einer Mindestdauer des ersten Arbeitsvertrages für Promovierende von drei Jahren und für Postdocs von zwei Jahren §2(1) Satz 4. Allerdings sollten Überbrückungsmöglichkeiten, z. B. bis zum Anlauf von Projektfinanzierungen, als Ausnahme im Interesse der sich Qualifizierenden möglich sein.
  • Verlängerung der zulässigen Befristungsdauer im Falle der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger um zwei Jahre §2(1) Satz 8.
  • Festlegung eines Mindestumfangs für befristete Arbeitsverhältnisse von einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit §2(1) Satz 10.
  • Vorrang der Qualifizierungs- vor Drittmittelbefristung und damit verbundene Stärkung des Qualifizierungsziels für die Promotions- und die Postdoc-Phase durch §2(1) Satz 2.
  • Weiterbestehen der Möglichkeit der Drittmittelbefristung entsprechend der Projektlaufzeit.

Artikel 2 Änderung des ÄArbVtrG

  • Einbezug einer gleichzeitigen wissenschaftlichen Qualifizierung als rechtfertigender sachlicher Befristungsgrund §1 (1).
  • Erweiterung der Formulierungen in § 1 (4) Nummer 1, 3, 5 und 6
  • Möglichkeit einer Verlängerung der Befristung zum Zweck des Abschlusses der angestrebten Qualifizierung um maximal zwei weitere Jahre und die dafür definierten Voraussetzungen einer zur Weiterbildung parallelen wissenschaftlichen Qualifizierung an einer nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften als Hochschule oder Forschungseinrichtung anerkannten Einrichtung oder an einer Hochschulklinik nach § 108 Nummer 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Absatz 4a). Der höhere Zeitbedarf, den eine parallele oder konsekutive wissenschaftliche und klinische Qualifizierung (Weiterbildung) mit sich bringt, wird dadurch berücksichtigt. Eine Verlängerung der Befristungsmöglichkeit um maximal drei Jahre würde nach unserer Einschätzung den besonderen Bedürfnissen bei einer Kombination von wissenschaftlicher Qualifizierung und Weiterbildung allerdings noch mehr entgegenkommen.
  • Aufhebung des Vorrangs des WissZeitVG vor ÄArbVtrG §1 (6), die Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen eine befristete Beschäftigung an Universitäten zur Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten oder zur Fachpsychotherapeutin ermöglicht. Der Wegfall des Anwendungsvorrangs des WissZeitVG ermöglicht es den Hochschulen, ihre auch in den Heilberufekammergesetzen der Länder ausdrücklich hervorgehobene Rolle als Einrichtungen der klinischen Weiterbildung wahrzunehmen.

Redaktioneller Änderungsbedarf in § 1 ÄArbVrtG

  • Um eine Harmonisierung des § 1 Absatz 1 ÄArbVtrG und des § 1 Absatz 6 ÄArbVtrG NEU hinsichtlich aller für Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen zu erwerbenden Qualifikationen zu erreichen, regen wir folgende Ergänzung an.

In § 1 ÄArbVrtG NEU wird in Absatz 6 wie folgt ergänzt:
 „(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für die Beschäftigung eines Psychotherapeuten im Rahmen einer zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten oder zum Erwerb einer Anerkennung für einen Schwerpunkt oder zum Erwerb einer Zusatzbezeichnung, eines Fachkundenachweises oder einer Bescheinigung über eine fakultative Weiterbildung.“

Begründung:
Absatz 6 gewährleistet die Anwendbarkeit des ÄArbVrtG auch auf Psychotherapeut*innen im Rahmen einer zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung zur Fachpsychotherapeut*in. Da auch die Fachpsychotherapeut*innen analog zu den Fachärzt*innen weitere Qualifikationen erwerben können, müssen diese zur Klarstellung in den Gesetzestext aufgenommen werden.

Eingeschränkt positiv sehen wir folgende Punkte im Artikel 1 Änderung des WissZeitVG:

  • Erweiterung der Befristungsdauer für Postdocs 4+2 Jahre (im Vergleich zu den im Eckpunktepapier des BMBF ursprünglich genannten 3 Jahren als Höchstbefristungsdauer), sofern eine zeitnahe Einrichtung ausreichender Tenure-Track-Stellen erfolgt, um Planungssicherheit für Personen zu schaffen, die nach Inkrafttreten eine Postdoc-Stelle antreten. Dies erfordert jedoch zusätzliche Finanzmittel für die Umwandlungen von befristeten Stellen in Tenure-Track-Stellen und die Einrichtung neuer zusätzlicher Stellen.
  • Verlängerung auf 8 statt 6 Jahre maximale Befristungsdauer für Arbeitsverträge mit Studierenden §6 Satz 1. Allerdings sollte eine Abschaffung der Höchstbefristungsdauer erwogen werden, da die Befristungsdauer bereits durch die Studiendauer begrenzt wird.
  • Soll-Vorschrift für die Mindestvertragslaufzeit für studentische Beschäftigte von 12 Monaten, sofern die Flexibilität für kürzere Hilfskraftverträge, etwa für semestergebundene Tutorien, erhalten bleibt.

Dringend verbesserungsbedürftig sehen wir im Artikel 1 Änderung des WissZeitVG:

  • In vier Jahren nach der Promotion ist keine Habilitation oder äquivalente Qualifizierung für eine Professur möglich. Selbst die Einwerbung von DFG-Projektmitteln für eine eigene Stelle bzw. als Qualifizierungskriterium für eine Professur ist in dieser Frist kaum möglich. Selbst wenn eine Habilitation in vier Jahren gelänge, ergeben sich Verzögerungen durch die Länge der Berufungsverfahren selbst, sodass vier Jahre für Qualifizierung und Berufung nicht ausreichen. Das 4+2 Modell ist daher nur sinnvoll, wenn die „+2“ Option die Regel als die Ausnahme wird. Das erscheint aber aufgrund des nachfolgenden Punkts unrealistisch.
  • Für die Realisierung der „+2“ Option stehen gegenwärtig weder die dazu erforderlichen Tenure-Track-Stellen bereit, noch ist der Erfüllungsaufwand für die Einrichtung dieser Tenure-Track-Stellen (z. B. anhand eines angestrebten Prozentsatzes von Tenure-Track-Stellen) einkalkuliert. Selbst wenn man bestehende befristete Postdoc-Stellen als Stellenhülsen für die neuen Tenure-Track-Stellen verwendet, entsteht bereits aufgrund des höheren Durchschnittsalters der Personen, die die Stellen innehaben, zusätzlicher Finanzierungsbedarf. Auch für den alternativen Qualifizierungsweg Juniorprofessur stehen bislang zu wenig Stellen, insbesondere Tenure-Track-Stellen, zur Verfügung.
  • Da trotz des Maßgabebeschlusses des Haushaltsausschusses des Bundestages zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur (Drucksache 20/8663 vom 26.01.2024) weder ein entsprechender Erfüllungsaufwand einkalkuliert noch eine entsprechende Initiative vom BMBF angekündigt wurde, beurteilen wir alternative Befristungsmodelle wie 2+4 oder 3+3 ebenfalls mit großer Skepsis.
  • Unseres Erachtens sollten auch Ziele für die erste Postdoc-Phase bereits bei Vertragsbeginn vereinbart und evaluiert werden und als Grundlage für Zielvereinbarungen dienen, sofern eine Tenure-Track-Phase im 4+2 Modell angeboten wird.
  • Die Möglichkeit, mit tarifvertraglichen Regelungen von den Regelungen des WissZeitVG abzuweichen, erschwert die erforderliche deutschlandweite Mobilität des wissenschaftlichen Nachwuchses durch unterschiedliche Befristungsregeln in den Tarifgebieten. Aus diesem Grund stehen wir weitergehenden Forderungen einer Tariföffnung skeptisch gegenüber.

Als Fazit möchten wir festhalten, dass wir die Änderungen des ÄArbVtrG durchweg begrüßen, jedoch eine alleinige Reform des WissZeitVG zu kurz greift, da sie die strukturellen Probleme nicht beseitigt, die primär für die schwierige Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verantwortlich sind. Um die Arbeitsbedingungen und Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses zu verbessern und eine erfolgreiche Reform zu sichern, ist ein systematischer Ansatz des Bundes und der Länder notwendig, der auch die strukturellen Probleme im Wissenschaftssystem angeht – andernfalls wird die Gesetzesreform die Situation verschlimmern. Dies erfordert zwingend:

  • eine Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen und
  • die Schaffung von mehr Tenure-Track-Stellen, die unterhalb der Ebene der Professur und Juniorprofessur eine Festanstellung nach dem Leistungsprinzip nach erfolgreicher Qualifikation und Evaluation ermöglichen.

Bei der Erarbeitung weiterer konkreter Vorschläge bieten die DGPs und der FTPs gerne ihre Unterstützung an.

Kontakt bei Rückfragen:

Prof. Dr. Stefan Schulz-Hardt
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Abteilung für Wirtschafts- und Sozialpsychologie Georg-August-Universität Göttingen
E-Mail: praesident@dgps.de

Prof. Dr. Conny H. Antoni
Vorsitzender des Fakultätentages Psychologie
Professor für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie Universität Trier
E-Mail: antoni@uni-trier.de

Die Stellungnahme steht hier als pdf-Datei zum Download bereit.